Sie gelten als schaurig, sollen nun aber beim Klimaschutz helfen: Moore. Viel wird derzeit über sie diskutiert. Aber was steckt dahin­ter? Sieben Punkte zum Mitreden.

1. Groß im Gruselfaktor
Am 6. September 2000 stoßen Torfstecher in Niedersachsen auf Knochen, die Poli­zei birgt später weitere Leichenteile. Es ist eine Sensation, das „Mädchen aus dem Uchter Moor“ – 2700 Jahre alt, ihre Leiche im Moor konserviert. Ist das Moor schaurig? ,,Nein“, sagt Jan Peters, der die Michael-Succow-Stiftung leitet, die wohl renommierteste Moorforschungseinrichtung im deutschsprachigen Raum: ,,Im Moor kann man ,über Wasser‘ laufen. Das geht sonst nirgends.“ Denn Moore bestehen aus nassem Torf. Der wiederum besteht zu 90 Prozent aus Wasser: ein riesiger Schwamm aus abgestorbenen, aber nicht verrotteten Torfmoosen, Seggen, anderen Pflanzen, die in Mooren wachsen – mit Wasser vollgesogen. ,,Sie müssen nur darauf achten, auf dem wabbligen Boden die festen Stellen – wie Grasbulten – zu finden“, sagt Peters. Wer diesen Profiblick nicht hat, sollte Moore aus der Distanz betrachten.

2. Heimat für Hungerkünstler
In Mooren sind Nährstoffe rar, es ist nass, das Wasser sauer. Es überleben nur seltene Spezialisten wie Moorfrosch, Birkhuhn oder etwa der Sonnentau, eine fleischfres­sende Pflanze. Oder die Torfmoose, die wie ein Teppich die Moore bedecken und nicht viel mehr als die wenigen Nährstoffe aus dem Regen brauchen, um beständig nach oben zu wachsen. Unten sterben sie derweil ab, werden zu Torf und speichern ein Vielfaches ihres eigenen Gewichts an Wasser. Sie sind die wahren Stars, die Bau­meister der Moore.

3. Ideal als C02-Tresor
Wenn Torfmoose und andere Moorpflanzen wachsen, nehmen sie wie Bäume und anderes Grün das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid aus der Luft auf und speichern es als Kohlenstoff. Der bleibt in intakten Mooren im durch das Wasser nahezu luftdicht verschlossenen Torf gespeichert. Experte Peters: ,,An der Landfläche der Erde machen Moore nur drei Prozent aus. Diese drei Prozent speichern aber doppelt so viel Kohlenstoff wie die Bäume aller Wälder der Erde, die 30 Prozent der Landfläche be­decken.“ Seine Erklärung: ,,Torf ist ein kompakter, geschlossener Boden, während es sich selbst durch einen tropischen Regenwald hindurchlaufen lässt.“ Allerdings funktioniert das nur in gesunden Mooren.

4. Trockener Klimakiller
In den Mooren sind Gräben gezogen, Rohre verlegt worden, damit das Wasser ver­schwindet und Platz geschaffen wird für Straßen und Häuser, für Wiesen und Felder. Begonnen habe die Entwässerung in Mitteleuropa im Spätmittelalter, sagt Peters:
„Erst um Buchweizen zu ernten, später wurde der Torf als Brennmaterial in die Städte transportiert.“ Nur: Sinkt das Wasser in Mooren, gelangt an die abgestorbenen, zu Torf gewordenen Pflanzenreste Sauerstoff. Dann werden sie zersetzt, der in ihnen gespeicherte Kohlenstoff geht als Treibhausgas C02 zurück in die Atmosphäre. ,,Aus einem Hektar entwässerten Moorbodens entweichen im Jahr so viele Treib­hausgase, wie ein Mittelklassewagen auf 185.000 Kilometern Fahrt ausstößt“, rechnet Peters vor, ,,also eine Tour weiter als vier Mal um die Erde.“ Exemplarisch seien Zahlen aus Deutschland genannt: Dort sind 95 Prozent aller Moore nicht mehr intakt und verursachen sieben Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen.

5. Klein im Wachstum
Sind Moore einmal kaputt, regenerieren sie sich nur langsam. Für eine Torfschicht von einem Meter braucht es rund 1000 Jahre. Abgestorbene Pflanzenreste werden im Moorwasser unter Sauerstoffabschluss nicht zersetzt, sondern ähnlich wie eingelegte Gurken im Einmachglas konserviert. Das Gewicht neuer Schichten presst alte zusammen. In Mitteleuropa sind Moore Hinterbliebene der Eiszeiten: Als sich vor circa 12.000 Jahren das Klima langsam erwärmte, Gletscher abschmolzen, bildeten sich in Tälern und Senken Seen und Tümpel. Pflanzen wie Schilf siedelten sich an, starben ab, sanken zum Grund, Seen verlandeten.

6. Neuer Rohstoffproduzent
Kartons sollen Moore retten. Der Hamburger Handelskonzern Otto etwa macht es vor: Ab 2027 will er für seine Versandkartons Seggen und Binsen nutzen, die in Mooren wachsen. Otto gehört zur „Allianz von Pionieren“, die die Succow-Stiftung mitinitiiert hat. Dabei sind 14 Unternehmen, etwa auch der Konsumgüterkonzern Procter & Gamble, und rund 20 Landwirte. Die Idee: Wasserstände in Mooren wer­den wieder angehoben, bestehende Gräben zugeschüttet. So können Seggen und andere nässeliebende Pflanzen – Paludikulturen genannt – wachsen und aus ihnen Pa­pier, Dämmstoffe, Möbel sowie weitere Produkte hergestellt werden. Das Ziel: eine klimafreundliche Moorwirtschaft, die sich für Landwirte rechnet.

7. Talentierter Klimaretter
Experte Jan Peters ist noch wichtig zu ergänzen: ,,Moore helfen nicht nur gegen die Erderwärmung, sie mindern auch ihre Folgen. Sie können viele Niederschläge auf­nehmen, also gegen Hochwasser schützen bei extremen Wetterereignissen, und in dürren Zeiten auch an ihre Umgebung wieder abgeben – sie sind schlicht ein Multi­talent.“